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Es gibt kein Recht auf Ratenzahlung
Die Angst, dass eines Tages der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht, sitzt bei vielen Schuldnern tief. Was wird einem nach dem Besuch bleiben? Welche Gegenstände, die einem lieb und teuer sind, muss man hergeben und wie geht es weiter, wenn das Eigentum nicht ausreicht, um sich von der Schuldenlast zu befreien?
von Charlotte Ruzanski
Es gibt kein Recht auf Ratenzahlung. Wenn das Geld nicht mehr reicht, um die Schulden zu begleichen, kann eines Tages der Gerichtsvollzieher vor der Tuer stehen.
© Rostislav_Sedlacek/thinkstock

Diesen Fragen ist BBX im Gespräch mit der Münchner Gerichtsvollzieherin Helga Gerstl nachgegangen. Eines ist dabei ganz deutlich geworden: Vieles, was man als Otto Normalverbraucher über Gerichtsvollzieher zu wissen meint, ist kaum mehr als ein Klischee.

BBX: Für wen arbeiten Sie als Gerichtsvollzieherin? Wer nimmt Ihre Dienste in Anspruch?

Gerstl:  Es sind überwiegend Unternehmen. Privatleute schon auch, aber das eher weniger. Und die meisten sind durch Anwälte vertreten.

BBX: Nachdem ein Gläubiger auf Sie zugekommen ist, wie geht es weiter?

Gerstl:  Uns wird vom Gläubiger ein Schuldtitel vorgelegt, den er vor Gericht erwirkt hat und ein schriftlicher Auftrag. In dem Auftrag steht, welche Maßnahme der Gläubiger ergriffen haben will. Das entscheidet also nicht der Gerichtsvollzieher.

BBX: Wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen, sind Sie jeden Tag im Außendienst?

Gerstl:  Wie ich meine Arbeit einteile, liegt in meiner freien Entscheidung. Gerichtsvollzieher sind unabhängige Organe der Rechtspflege.  Wir entscheiden selbst, wann wir was machen. Ich gehe drei Mal die Woche in den Außendienst. Wenn es erforderlich ist auch abends. Der Gerichtsvollzieher kann auch samstags im Außendienst arbeiten, weil die Leute dann zuhause sind. Das kann jeder machen, wie der Dienst es erfordert.

Wichtig ist es, Präsenz zu zeigen

BBX: In welchem finanziellen Rahmen bewegen sich die Forderungen, die Sie eintreiben?

Gerstl:  Ich habe schon Forderungen – Restforderungen, wohlgemerkt – vollstreckt, die bei 5,- € lagen. Was das höchste war, weiß ich gar nicht. Bei Zustellung von Pfändungsbeschlüssen sind’s auch mal mehrere Millionen. Aber das ist eher die Ausnahme. Im Großen und Ganzen heißt es, liegen die meisten Forderungen vom Gerichtsvollzieher im unteren vierstelligen Bereich. Es gibt auch größere, aber das meiste ist überschaubar.

Gerichtsvollzieher sind berechtigt, ohne Ankündigung zu kommen.

BBX: Gerade bei geringen Forderungen, rentiert sich die Beauftragung eines Gerichtsvollziehers da tatsächlich?

Gerstl:  Kleine Forderungen werden natürlich leichter bezahlt. Und man darf auch nicht vergessen, der Gläubiger hat auch bei kleinen Forderungen schon die Gerichtskosten investiert, die Anwaltskosten. Die meisten übergeben Rechnungen an Abrechnungsstellen – zum Beispiel Ärzte. Die machen das nicht mehr selbst. Arztrechnungen sind ein ganz großer Teil unserer Arbeit. Das geht bei denen sozusagen in einem Aufwasch, die Abrechnungsfirmen haben Anwälte und an die wird weitergeleitet, wenn ein Kunde nicht zahlt. Und man muss auch ganz ehrlich sagen, es geht nicht immer um die Höhe der Forderungen, sondern auch darum, dass gezahlt werden muss. Wenn ich eine Rechnung nicht verfolge – wo ziehe ich die Grenze? Der Grundgedanke ist, dass jeder zahlen muss.

BBX: Zu Ihrer Arbeit im Außendienst: Informieren Sie die Schuldner vorher über Ihren Besuch oder kommen Sie unangekündigt?

Gerstl:  Bei der Frage muss ich mal mit einem weit verbreitetet Irrglauben aufräumen: Gerichtsvollzieher sind berechtigt, ohne Ankündigung zu kommen. Wir müssen nicht ankündigen. Aber wir können es tun. Heutzutage ist das tatsächlich auch sinnvoll. Durch flexible Arbeitszeiten sind die Leute nicht mehr zwangsläufig um 20 Uhr zu Hause. In der Stadt haben Sie ein weiteres Problem: Da machen viele Leute einfach nicht die Tür auf. In der Regel unternimmt der Gerichtsvollzieher einen unangekündigten Versuch. Wenn ich dann niemanden antreffe, dann benachrichtige ich den Schuldner schriftlich. Es ist aber immer gut, wenn die Leute wissen, es war schon mal jemand da. Ganz wichtig in unserem Beruf ist es, Präsenz zu zeigen. Es ist einfach was anderes, ob ich einen Brief bekomme, oder ob jemand vor der Tür steht und das Geld abholen will. Natürlich ist das unangenehmer.

BBX: Genau davor haben ja viele Betroffene Angst, dass eines Tages einfach jemand vor der Tür steht, um die Schulden einzutreiben.

Gerstl:  Genau. Und zwar auch, weil sie sich dann wirklich mit ihrer Situation auseinandersetzen müssen.

Es trifft nicht nur die Unterschicht

BBX: Es besteht ja das Vorurteil, dass es besonders Sozialhilfeempfänger sind, die Besuch vom Gerichtsvollzieher bekommen, wie viel Wahres steckt dahinter?

Gerstl:  Natürlich hat man viele Bezieher von Hartz IV. Aber wenn man mal berücksichtigt, wie wenig Geld denen zur Verfügung steht, sind es im Verhältnis betrachtet nur wenige. Zumindest gilt das für meinen Bezirk. Es sind schon auch viele Freiberufler und Selbstständige, seltener auch Beamte. Diejenigen, die nicht gesetzlich versichert sind und wo dann die Ärzte ihr Geld einfordern. Oft sind auch GmbHs und Geschäfte betroffen.

BBX: Genau wie Ihre Auftraggeber sind also auch die Schuldner eher Unternehmen?

Gerstl:  Überwiegend sind es natürlich Privatleute, aber auch viele Gewerbetreibende. Die hängen mit den Zahlungen oft hinterher. Einige hab ich schon seit zehn Jahren, seit ich diesen Bezirk habe. Bei denen weiß ich, wenn ich hinkomme, dann wird eben mit Ach und Krach gezahlt.

BBX: Wie häufig werden die Schulden denn tatsächlich beglichen?

Gerstl:  Das ist ganz schwierig zu sagen. Auch, weil immer wieder Aufträge zurückgenommen werden, weil schon allein unsere Präsenz reicht. Viele Schuldner werden dann wach und vereinbaren mit ihren Gläubiger eine Zahlungsvereinbarung. Auch bei Zustellungen erfahre ich nie, ob gezahlt wurde, oder nicht. Die einzige Statistik, die es gibt, ist von der deutschen Gerichtsvollzieherzeitung und besagt, welchen Wert Gerichtsvollzieher deutschlandweit beigetrieben haben. Pro Jahr sind das etwa 1,2 Milliarden.

Eine große Angst der Leute ist, dass ich alles mitnehme.  Aber jetzt schauen Sie mal bei eBay, was ein Fernseher kostet oder ein Stuhl oder Tisch.  Das lohnt kaum.

BBX: Wie läuft ein Besuch von Ihnen ab, wann haben Sie das Recht ein Haus oder eine Wohnung zu betreten?

Gerstl:  Salopp gesagt dann, wenn sich die Person nicht weigert, mich reinzulassen. Wenn ich nicht reinkommen darf, protokollier ich das und weise drauf hin, dass der Gläubiger einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung beantragen kann. So einen Beschluss muss ich erwirken, was aber selten passiert. Die meisten lassen mich rein. Wenn ich jemanden antreffe, versuche ich auch erst mal, ganz normal mit dem zu reden, denn man kann ja über das Problem reden.

BBX: Einen Durchsuchungsbeschluss bekommen Sie aber grundsätzlich, wenn Sie nicht reingelassen werden?

Gerstl:  Auf alle Fälle. Durch die Protokollierung vom Durchsuchungswiderspruch wird jeder Richter auch die richterliche Durchsuchungsanordnung erlassen.

BBX: Es hat also überhaupt keinen Zweck, Sie nicht reinzulassen?

Gerstl:  Nein. Das Problem wird nur aufgeschoben. Das ist der einzige Zweck. Schafft der Schuldner in der Zwischenzeit Wertgegenstände beiseite, macht er sich strafbar.

Die Problematik der Pfändung

BBX: Welche Gegenstände sind für Sie besonders interessant?

Gerstl:  Eine große Angst der Leute ist, dass ich alles mitnehme. Aber jetzt schauen Sie mal bei eBay, was ein Fernseher kostet oder ein Stuhl oder Tisch. Das lohnt kaum. Völlig unabhängig von der Pfändbarkeit dieser Sachen. Denn alles, was ich nicht selbst tragen kann, ist ein Problem. Einfach weil ich jemanden brauche, der das abholt. Und dann ist es das Ganze schnell nicht mehr wert. Anders ist es zum Beispiel bei einem MacBook, das kann ich direkt mitnehmen. Ich kann die Daten löschen und es versteigern. Aber ansonsten müssen es schon wirkliche Kostbarkeiten sein, damit es lohnt. Ein Teppich, der wirklich was wert ist oder Bilder oder so. Wobei das mit Bildern auch schwierig ist. Hab ich auch schon gehabt. Ich kann sie nicht schätzen. Ich bin aber dem Schuldner gegenüber dafür verantwortlich, dass ich für seine Sachen nicht zu wenig verlange. Ich brauche also einen Sachverständigen und der will natürlich auch Geld. Aber das Problem ist, das Gläubiger Sachverständiger meistens nicht zahlen wollen. Und selbst Autos sind problematisch. Den letzten A1, den ich gepfändet habe, hab ich wieder freigegeben, weil er ein Leasing- Fahrzeug war. Sowas steht ja nirgends. Ich kann nirgends nachschauen, ob ein Fahrzeug geleast ist. Das Abschleppen allerdings, ist mit Kosten verbunden, da ist man gleich bei vier-, fünfhundert Euro für den Gläubiger und wenn dann der Schuldner nachweist, dass es sich um ein Leasing-Fahrzeug handelt, waren alle Ausgaben umsonst.

Der Klassiker unter den unpfändbaren Gegenständen ist natürlich der Ehering. Auch wenn die Ehe geschieden ist. Und der Grabstein.

BBX: Vor allem aus Filmen kennt man den gefürchteten Kuckuck, der auf die Möbel der Schuldner geklebt wird, machen Sie das auch?

Gerstl:  Das passiert zum Beispiel bei Zwangsräumungen. Da müssen die Sachen ja sowieso mitgenommen werden. Wenn ich dann zum Beispiel einen schöneren Schrank habe oder einen guten Fernseher, kann ich den natürlich pfänden. Für den Gläubiger bleiben die Kosten gleich, denn die Sachen müssen ohnehin aus der Wohnung raus. Es ist weniger das Verkaufen selbst und das Versteigern, sondern vor allem der Transport, der unrentabel ist. Außerdem verbietet der Gesetzgeber die Pfändung von Gegenständen, wenn die zu erwartenden Kosten voraussichtlich den Erlös nicht decken. Wenn ich jetzt weniger bekommen, als das, was die Sache wert ist, dann darf ich auch nicht pfänden. Das ist eine Unpfändbarkeitsvorschrift, die ich beachten muss.

BBX: Welche Unpfändbarkeitsvorschriften müssen Sie noch beachten?

Gerstl:  Vom Gesetz her nicht gepfändet werden dürfen Sachen, die der Schuldner zur Bestreitung seines Lebensunterhalts braucht. Dazu kann ein Auto gehören oder ein PC. Ansonsten, der Klassiker unter den unpfändbaren Gegenständen ist natürlich der Ehering. Auch, wenn die Ehe geschieden ist. Und der Grabstein. Außer wenn er unter Eigentumsvorbehalt geliefert ist. Da gibt es verschiedene Auffassungen, ob man pfänden kann oder nicht. Aber das sind Extreme. Und ein Fernseher zum Beispiel ist heutzutage kein Luxus mehr. Das war ja in den 60ern oder 70ern noch anders. Objektiv betrachtet, kann man heute schon sagen, dass er zu den Grundbedürfnissen gehört.

Fernsehen als Grundbedürfnis

BBX: Den Fernseher müssen Sie also lassen?

Gerstl:  Genau, den lass ich. Außer bei einer Zwangsräumung, habe ich einen Fernseher noch nie gepfändet. Der Gesetzgeber sieht ja vor, dass man bei teuren Geräten ein Austauschgerät, also einen alten Schwarz-Weiß-Fernseher hinstellt. Aber das ist nur Aufwand, also bitte.

BBX: Auch wenn ich mir gerade einen neuen Fernseher gekauft habe, muss ich nicht befürchten, dass der mitgenommen wird?

Gerstl:  Eigentlich nicht, nein.

BBX: Weil der Aufwand zu groß ist?

Gerstl:  Ja.  Wenn Sie das Finanzamt als Gläubiger haben, sieht das allerdings anders aus. Denn die transportieren selbst und lagern selbst ein. Für die ist ein Fernseher wieder rentabel. Die pfänden anders als wir, weil sie andere Möglichkeiten haben. Ich hab keinen Gläubiger hinter mir, der sagt, wenn’s schief geht, dann zahl ich eben einen Tausender drauf, sondern der sagt, was hast denn du gemacht?

BBX: Sie pfänden ja nicht nur, was fällt noch in Ihren Aufgabenbereich?

Gerstl:  Wir pfänden sehr selten. Unsere Hauptaufgabe ist mittlereile eigentlich die Vermittlung zwischen Gläubiger und Schuldner. Zum 01.01.2013 hat sich das Zwangsvollstreckungsrecht gravierend geändert und es steht jetzt auch im Gesetz drin, dass der Gerichtsvollzieher in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Regelung hinwirken soll. Was wir häufig haben, sind Ratenzahlungen. Unsere Aufgabe ist es dabei, hinterher zu sein, wenn nicht gezahlt wird. Wobei man uns auch nicht mit einem Inkassoinstitut verwechseln darf. Ganz wichtig zu wissen ist, dass der Schuldner grundsätzlich kein Recht auf Ratenzahlung hat. Im allgemeinen Wissen ist das durch Daily Soaps, Talkshows, Internet und so weiter inzwischen total verwaschen. Aber im Bürgerlichen Gesetzbuch steht, man hat kein Recht auf Ratenzahlung. Gibt es nicht. Das BGB sagt, der Schuldner hat in einer Summe zu zahlen. Wenn ich heute irgendwo hingehe und sage, das kauf ich oder die Dienstleistung nehme ich in Anspruch, dann bin ich verpflichtet, das in einer Summe zu zahlen. Und zwar bei Fälligkeit. Das ist immer noch der Grundsatz. Ratenzahlung kann bewilligt werden, wenn ich auch in der Lage bin, die Raten zu zahlen. Und das muss ich nachweisen. Ich kann nicht einfach sagen, ich hab Hartz IV, aber ich zahl jetzt 100,- € Raten im Monat, wie soll das gehen? Und Ratenzahlung geht auch nur, wenn der Gläubiger einverstanden ist. Und ich als Gerichtsvollzieher, halte es so, dass ich sage, wenn Ratenzahlungen schon mehrfach nicht funktioniert haben, dann gibt es keine Raten mehr.

Niemandem wird die Wohnung aufgesperrt, weil er nicht zahlen kann und es ergeht auch kein Haftbefehl deswegen. Ein Haftbefehl ergeht, weil man sich geweigert hat, die Vermögensauskunft zu leisten, es ist eine Erzwingungshaft.

BBX: Wenn Sie sehen, dass es nichts zu holen gibt, schlagen Sie dann von sich aus eine Ratenzahlung vor?

Gerstl:  Der Gläubiger schreibt in der Regel in seinen Auftrag rein, ob er Raten haben will oder nicht. Daran halte ich mich. Es gibt aber Schuldner, von denen ich weiß, dass sie immer versucht haben, zu zahlen. Wenn da der Gläubiger keine Raten will, dann frag ich, ob nicht doch Raten möglich wären. In so einem Fall überwache ich die Zahlung ein paar Monate und wenn es funktioniert, können die ohne mich weitermachen.

BBX: Wie geht es denn weiter, wenn nicht gezahlt werden kann?

Gerstl:  Also wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, zu zahlen, dann ist er verpflichtet seine Vermögensverhältnisse offenzulegen. Und auch hier gibt es einen weit verbreiteten Irrglauben: Die Leute glauben immer, wenn sie zahlungswillig sind, dann ist dieser Schritt nicht nötig. Fakt ist: Ich muss meine Vermögensverhältnisse offenlegen, wenn ich meine Zahlungsverpflichtungen nicht erfüllen kann.

BBX: Was bedeutet eine Vermögensauskunft für einen Schuldner?

Gerstl:  Man will von den Leuten, dass sie ihrer Verpflichtung nachkommen, offenzulegen, über welche Vermögenswerte sie verfügen, um dem Gläubiger eventuell Zugriff darauf zu verschaffen. Niemandem wird die Wohnung aufgesperrt, weil er nicht zahlen kann und es ergeht auch kein Haftbefehl deswegen. Ein Haftbefehl ergeht, weil man sich geweigert hat, die Vermögensauskunft zu leisten, es ist eine Erzwingungshaft. Aber niemand wird eingesperrt, weil er nicht zahlen kann. Das ist ein riesen Unterschied.

Der Konflikt zwischen Gläubiger und Schuldner

BBX: Wie erleben Sie die Betroffenen?

Gerstl:  Da erlebe ich alles. Es ist selten, dass jemand weint. Aber es gibt schon Menschen, die wirklich verzweifelt sind. Und die wenigsten sind die Arroganz in Person, die in irgendwelchen Berichten gezeigt werden. Sicher ist, dass so eine Situation keinen kaltlässt. Vor allem, wenn jemand das erste Mal vor der Abgabe der Vermögensauskunft steht, ist das für denjenigen eine große Belastung. Natürlich wird da alles Mögliche versucht, um die Auskunft zu umgehen, da wird viel gelogen und es werden Sachen behauptet, die nicht stimmen. Aber die Gläubiger sind oft nicht besser! Wenn der Gläubiger für sich irgendeinen Vorteil sieht, nutzt er den auch. Der Wahrheitsgehalt von dem, was die Gläubiger oft von sich geben, das ist – das muss man ganz ehrlich sagen – mit Vorsicht zu genießen. Der Gläubiger denkt immer, nur weil ihm jemand etwas schuldet, darf er alles oder hat alle Rechte, was halt einfach nicht so ist. Der Schuldner ist immer gerne das arme Hascherl, das ungerecht behandelt wird. Da nehmen sich beide Seiten nichts.

BBX: Können Sie sich Mitleid in Ihrem Beruf überhaupt leisten?

Gerstl:  Na ja, man hat Verständnis für die Umstände der Betroffenen. Nur weil man Verständnis hat, muss man aber kein Mitleid haben. Aber man kann auch Mitleid haben und sachlich bleiben. Das eine schließt das andere nicht aus. Man erreicht viel mehr bei den Leuten, wenn man ihnen zuhört. Ich muss als Gerichtsvollzieher nicht barsch auftreten. Verständnis zu zeigen, macht viele Sachen einfacher.

Hohes Berufsrisiko …

BBX: Man hört immer wieder von Angriffen auf Gerichtsvollzieher, wie gefährlich ist ihre Arbeit?

Gerstl:  Wenn man mal überlegt, was die letzten Jahre alles passiert ist, muss ich schon sagen, dass ich mir manchmal Gedanken mache. In München ist ein Kollege mit – ich weiß nicht mehr vielen – Messerstichen attackiert worden. Karlsruhe weiß sowieso jeder. In Köln ist bei einer Zwangsräumung ein Kollege durch eine Gasexplosion ums Leben gekommen. Vieles steht auch gar nicht in der Zeitung. Gottseidank hatte ich es noch nie, dass mich jemand wirklich bedroht hat. Wenn ich Wohnungen aufsperre, hab ich seit Karlsruhe aber schon die Polizei dabei. Und ich frage an, ob die Betroffenen polizeibekannt sind. Aber so im Großen und Ganzen gehe ich nicht in den Außendienst und denke, hoffentlich bringt mich heute niemand um. So ist es nicht.

Man erreicht viel mehr bei den Leuten, wenn man ihnen zuhört. Ich muss als Gerichtsvollzieher nicht barsch auftreten. Verständnis zeigen, macht viele Sachen einfacher.

BBX: Wie schützen Sie sich vor solchen gefährlichen Situationen?

Gerstl:  Wenn ich mich nicht wohl fühle oder merke, der Schuldner ist komisch, dann gehe ich wieder. Das habe ich schon zwei, drei Mal gemacht. Da ist mir egal, wie viel Geld der Gläubiger kriegt, da komme ich dann ein anderes Mal mit polizeilicher Unterstützung wieder. Und ich habe ein Pfefferspray. Eine Waffe will ich nicht, was soll ich mit einer Waffe? Was ist, wenn ich die ziehen muss?

BBX: Welche Möglichkeiten haben Sie, mit der Polizei zusammenzuarbeiten?

Gerstl: Wenn jemand Widerstand leistet oder auch sonst, wenn ich persönlich meine, es sei erforderlich, kann ich die Polizei anrufen und es dauert nicht lange, bis sie da ist. Ich hatte das gerade erst bei einer Kassenpfändung, die Schuldnerin wollte die Kasse nicht aufmachen. Ich selbst übe keine körperliche Gewalt aus, sondern rufe die Polizei an. Meistens hilft schon allein der Anruf und die Schuldner kooperieren dann doch. Wenn nicht, ist die Polizei aber innerhalb kürzester Zeit da, dafür sind die sensibel.

BBX: Mal die andere Seite betrachtet, wie erleben Sie die Gläubiger? Bekommen Sie von der Seite Dank zu spüren?

Gerstl:  Nein. Es ist ein äußerst undankbares Geschäft. Wenn ich jemandem mehr Zeit gebe, dass er später wirklich zahlen kann, da kann ich mir anhören, dass ich nichts tue. Wenn das Geld dann überwiesen wurde, brauchen Sie aber nicht glauben, dass sich einer bedankt. Das ist sehr, sehr selten. Aber es ist halt auch meine Arbeit, dass ich das Geld beitreibe. Wobei es schon ärgerlich ist, wenn die Gläubiger sich aufführen und sobald das Geld da ist, alles vergessen. Aber recht machen kann man es grundsätzlich keinem.

Der Umgang mit Vorurteilen gehört zum Beruf

BBX: Prinzipiell ist der Beruf des Gerichtsvollziehers ja nicht unbedingt positiv besetzt. Wie erleben Sie Ihre Mitmenschen, wenn die erfahren, welchen Beruf Sie haben?

Gerstl:  Ganz unterschiedlich. Es gibt schon auch welche, die sagen, wie kannst du das machen? Der Beruf gehört sicherlich zu den klischeebehaftetsten  überhaupt und wenn sich jemand nicht die Mühe machen will, sich damit zu befassen, was ich wirklich mache und stattdessen denkt, dass ich ein schlechter Mensch sein muss, dann soll er das halt denken, sowas darf man nicht persönlich nehmen.

BBX: Und aus welchem Grund haben Sie sich für den Beruf entschieden?

Gerstl:  Also, es ist sicherlich kein Beruf, auf den man einfach so kommt. Aber es ist ein sehr abwechslungsreicher und umfangreicher Beruf. Man hat viele Freiheiten, man kann seine Entscheidungen selbst treffen, hat viel mit Leuten zu tun. Und man kann was bewirken. Das ist das, was mir sehr großen Spaß macht. Und ich stehe dazu. Ich sage das immer wieder, ich mache diesen Beruf gerne.

von Charlotte Ruzanski

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