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Steuerzahler-Gedenktag: Populistischer Zahlenspiel-Unsinn
Jahr für Jahr ruft der Bund der Steuerzahler den Steuerzahler-Gedenktag aus: Der Tag, ab dem jeder rein rechnerisch gesehen für sich selbst arbeitet – und nicht mehr für den Staat. In diesem Jahr soll es der 19. Juli sein. Klingt wahnsinnig kontrovers – ist aber ziemlicher Unsinn. Ein Kommentar
von Gerrit Wustmann
Steuerzahler-Gedenktag: Populistischer Zahlenspiel-Unsinn
© Nattapol Sritongcom / 123rf

Es klingt auf den ersten Blick skandalös, was der Bund der Steuerzahler (BdSt) zu verkünden hat: Erst ab dem 19. Juli verdienen die Deutschen ihr eigenes Geld. Alles, was sie bislang reingeholt haben, geht für Steuern und Abgaben drauf. Nur 45,4 Cent bleiben von jedem verdienten Euro in der eigenen Tasche. Die Message: Der böse Staat nimmt uns arme Bürger ganz schön aus – wie die sprichwörtliche Weihnachtsgans, die wir uns hinterher nicht mehr leisten können.

Steuerzahler-Gedenktag nennt der BdSt das – und Jahr für Jahr ist es eine dankbare Aufreger-Headline in der hiesigen Medienlandschaft, die zuverlässig für Entrüstung an den analogen wie den digitalen Stammtischen sorgt. Dabei ist all das auf so vielen Ebenen falsch und populistisch, dass man kaum weiß, wo man anfangen soll, es zu zerpflücken.

Was der Bund der Steuerzahler suggeriert, stimmt so nicht

Beginnen wir bei den blanken Zahlen. Der BdSt verortet die Gesamtabgabenquote bei 54,6 Prozent. Das sei so viel wie nie zuvor und auch durch „heimliche Steuererhöhungen“ begründet. Schon diese Bezeichnung ist Unsinn. Sämtliche Steuererhöhungen lassen sich transparent nachvollziehen. Die Frage ist aber, wie der BdSt auf die konkrete Zahl kommt. Bei der OECD liegt sie deutlich niedriger: bei 49,4 Prozent. Zugegeben, selbst das klingt nach sehr viel – immerhin die Hälfte des Einkommens. Es relativiert sich aber schnell, wenn man differenziert. Denn die 49,4 Prozent sind die Abgabenlast eines durchschnittlich verdienenden Singles. Bei Verheirateten mit Kindern sind es schon nur noch 34 Prozent. Und auch Geringverdiener haben eine Abgabenquote von nur knapp einem Drittel ihres Einkommens. Bei den oberen Einkommen jenseits der 100.000 Euro ist die Gesamtabgabenquote ebenfalls deutlich niedriger, schon allein, weil die Sozialabgaben über die Beitragsbemessungsrenze gedeckelt sind.

Das bedeutet: Selbst wenn die BdSt-Zahl von 54,6 Prozent stimmen würde, ist es absolut unzulässig, zu suggerieren, jeder einzelne Bürger hätte eine Abgabenbelastung in dieser Höhe. Das ist faktisch falsch. Im Grunde trifft die höchste Belastungsquote allenfalls für Mittelschicht-Singles zu.

Steuerzahler-Gedenktag ist PR-Aktion

Ebenso falsch ist es, zu suggerieren, all das Abgabengeld ginge an einen gierigen anonymen Staat. Einen wesentlichen Teil der Abgaben machen schließlich die Beiträge für Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung aus. Das ist Geld, das jedem Zahler ganz direkt zugute kommt. Dasselbe gilt aber auch für gezahlte Steuern, egal ob es nun die Einkommens- oder Mehrwertsteuer ist. Das Geld fließt in die Infrastruktur, in Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Universitäten, Kommunen und viele andere Einrichtungen, von denen jeder Steuerzahler tagtäglich profitiert – und zwar auf, im Vergleich zu vielen anderen Ländern, ziemlich hohem Niveau. Mithin geht ein großer Teil dieses Geldes auch über Fördermittel und Subventionen direkt in den Wirtschaftskreislauf zurück. Es ist also nicht weg, wie der BdSt glauben machen will.

Richtig ist allerdings, dass in kaum einem OECD-Land die Abgabenlast so hoch ist wie in Deutschland. An den Steuern liegt das aber nicht, denn die bewegen sich im Vergleich im gesunden Mittelfeld. In den letzten Jahrzehnten hat es beständig beträchtliche Steuersenkungen gegeben, von denen in erster Linie Unternehmen und Gutverdiener profitierten. Und diese sind, das muss man anmerken, die eigentliche Zielgruppe des BdSt, der sich zwar gerne mit PR-Aktionen wie dem Steuerzahler-Gedenktag volksnah gibt, tatsächlich aber die Interessen der Besserverdienenden vertritt – auch per Bundestags-Lobbyismus.

Senken ließe sich die Abgabenlast durch Korrekturen bei den Sozialabgaben. Eine gesetzliche Pflichtversicherung für alle und eine Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze könnte dem umlagefinanzierten Rentensystem helfen, die Beiträge könnten sinken. Davon würden Geringverdiener und die Mittelschicht profitieren. Die Gutverdiener hingegen würden stärker belastet. Aber das will der BdSt ganz bestimmt nicht…

von Gerrit Wustmann

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