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Scheinselbständigkeit: Definition und Konsequenzen
Wie viele Scheinselbständige genau es in Deutschland zurzeit gibt, lässt sich kaum sagen, denn offizielle Zahlen gibt es nicht. Schätzungen gehen von mindestens einigen Zehntausend aus. Für den Selbstständigen bzw. den Arbeitnehmer ist der Status in jedem Fall von Nachteil; Arbeitgeber nutzen das Modell gern, um sich Sozialabgaben und Tariflöhne zu sparen. Riskieren gleichzeitig aber auch hohe Geldstrafen.
von Gerrit Wustmann
Scheinselbständigkeit: Definition und Konsequenzen. Angestellt oder frei? Bei Scheinselbstaendigen laesst sich das nicht genau sagen.
© thinkstock

Doch was bedeutet Scheinselbständigkeit genau? Und warum sind solche Beschäftigungsverhältnisse ein Verstoß gegen das Arbeitsrecht?

Selbständige oder Freiberufler sind Unternehmer. Sie sind ihr eigener Chef und damit nicht weisungsgebunden bzw. eine Weisungsbindung findet nur im Zuge von zeitlich befristeten Aufträgen oder Projekten statt.

Wer selbständig ist, arbeitet an unterschiedlichen Aufträgen von mehreren Kunden. Die Kunden haben bestimmte Rahmenbedingungen, die sehr eng oder frei sein können. In diesem Rahmen können sich Selbständige ihre Arbeitszeit frei einteilen. Ob Aufträge angenommen werden oder nicht, liegt immer im Ermessen des Selbstständigen. Darüber hinaus haben Selbständige zumeist ein eigenes Büro oder einen eigenen Betrieb und sind nicht in die Abläufe am Betriebsort ihrer Kunden eingebunden; eine solche Bindung kann allenfalls mal vorübergehend stattfinden, wenn ein Auftrag vor Ort erledigt werden muss.

Vorgaben für Selbständige

Vor allem in der Anfangsphase kann es vorkommen, dass Selbständige nur für einen Auftraggeber tätig sind. Solange dies nicht zum Dauerzustand wird (zum Beispiel über mehrere Jahre hinweg), stellt diese Tatsache jedoch kein Problem dar.

Ebenfalls zu beachten gilt darüber hinaus, dass dauerhaft nicht mehr als vier Fünftel des Einkommens von demselben Auftraggeber/Kunden stammen dürfen, ansonsten ist der Status der Selbständigkeit gefährdet.

Was auf den ersten Blick nach gesetzlicher Gängelung aussehen mag, hat tatsächlich den Vorteil der Betroffenen im Blick. Angestellte gelten im Sinne der Sozialversicherung als schutzbedürftig und es besteht eine Beitragspflicht in den Sozialversicherungen. Diese Beiträge werden allerdings zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufgeteilt.

Selbstständigen hingegen steht es frei, ihre Risiken selbst abzusichern. Wer sich als Selbstständiger für einen Versicherungsschutz entscheidet, hat deutlich höhere Beiträge zu leisten als eine angestellte Person. Die Ausgaben zu Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung machen zusammen über ein Drittel des Einkommens aus. Sinnvoll ist darüber hinaus auch eine Absicherung in einer Arbeitslosenversicherung sowie eine Unfallversicherung. Auch diese Versicherungen schlagen bei Selbstständigen mit hohen Beiträgen zu Buche.

Nachteile in der Scheinselbständigkeit

Scheinselbständige haben in ihrem Arbeitsalltag denselben Status wie Angestellte: Sie arbeiten am Betriebsort ihres Arbeitgebers bzw. bei dessen Kunden und sind ihrem Arbeitgeber gegenüber weisungsgebunden. Das bedeutet zum Beispiel, dass sie feste Arbeits- und Pausenzeiten haben, bestimmte Arbeiten in einem bestimmten Rahmen zu erledigen haben und dafür jeden Monat dasselbe Gehalt bekommen. Aber da sie auf dem Papier selbständig sind, werden die Sozialabgaben nicht in den Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil aufgeteilt, sondern die scheinselbständige Person muss diese Kosten komplett selbst tragen.

Neben der ausbleibenden Zahlungen für die Sozialversicherung sind weitere Nachteile die fehlende Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die nur Angestellten zusteht, nicht aber Selbstständigen. Ebenso wird auch kein Urlaubsgeld gezahlt und es besteht kein Kündigungsschutz für eine scheinselbstständig angestellte Person.

Wann eine Scheinselbstständigkeit vorliegt

Es gibt mehrere Indizien, die dafür sprechen, dass keine selbstständige Tätigkeit, sondern eine abhängige Beschäftigung vorliegt und eine Person eigentlich als Angestellte im Sozialversicherungsrechtlichen Sinn gesehen werden muss:

  • Vorgegebene / feste Arbeitszeiten
  • Arbeiten vor Ort / in den Räumen des Auftraggebers
  • Weisungsbindung gegenüber dem Auftraggeber
  • Teilnahme an Meetings und internen Briefings
  • Pflicht zur Berichterstattung gegenüber dem Arbeitgeber
  • Festes Gehalt
  • Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall
  • Urlaubsanspruch (inkl. Absprache mit den anderen Angestellten bezüglich der Urlaubszeiten)
  • Keine eigenen sozialversicherungspflichtig Angestellten

Natürlich können diese Punkte zum Teil auch zutreffen, wenn jemand tatsächlich selbstständig ist, allerdings ist immer der Zeitfaktor entscheidend. Das heißt: Wer selbstständig ist, ist zumindest nicht über einen längeren Zeitraum nur für einen Arbeitgeber tätig oder in dessen Räumlichkeiten untergebracht und nimmt auch nicht regelmäßig an Meetings und Briefings teil, etc.

Branchen, die besonders häufig von Scheinselbstständigkeit betroffen sind

Besonders weit verbreitet ist diese Art der Scheinselbständigkeit in Berufen mit vergleichsweise geringen Löhnen wie etwa dem Reinigungs- oder Baugewerbe oder bei Fahrern im Speditionsgewerbe und Kurierfahrern. Insbesondere scheinselbständige Niedriglöhner müssen später mit Altersarmut rechnen.

Darüber hinaus gibt es aber auch einige andere Branchen, in denen Selbstständige häufig nur für einen Arbeitgeber arbeiten und damit riskieren, in die Scheinselbstständigkeit zu rutschen:

  • Grafikdesigner
  • Handwerker
  • Honorarärzte
  • IT-Berater
  • Lehrer / Dozenten
  • Programmierer
  • Texter

Komplexe Prüfung auf Scheinselbstständigkeit

Bei Unsicherheiten, ob eine abhängige Beschäftigung vorliegt, ist es immer empfehlenswert bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund einen Antrag auf Statusfeststellung zu beantragen. Dabei geht es darum, zu prüfen, wie das Vertragsverhältnis einzuordnen ist. Wichtig dabei: Es geht immer nur um ein Vertragsverhältnis. Das heißt: Auch wenn in dem aktuellen Fall keine Scheinselbstständigkeit vorliegt, kann sie in einem anderen Auftragsverhältnis dennoch vorliegen.

Da das Verfahren zur Feststellung sehr komplex ist, sollte man sich hierfür die Hilfe eines Anwalts nehmen.

Klärung der Statusfrage

Bringt ein Statusfeststellungsverfahren zutage, dass tatsächlich eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, so greift die Sozialversicherungspflicht. Diese gilt auch rückwirkend und muss ab dem Zeitpunkt des Beginns des Beschäftigungsverhältnisses gezahlt werden.

Betroffene haben auch die Möglichkeit gegen einen Bescheid vorzugehen, wenn der Status nach eignem Empfinden falsch festgestellt wurde. Hier kann beim Sozialgericht Klage eingereicht werden. Auch hier ist wieder die Vertretung durch einen kompetenten Anwalt zu empfehlen, da es sich bei der Frage nach einer Scheinselbstständigkeit immer um einen sehr komplexen Sachverhalt handelt.

Konsequenzen für den Arbeitgeber

Auch wenn es häufig heißt, Auftraggeber bzw. Arbeitgeber würden die Scheinselbstständigkeit nutzen, um Ausgaben zu sparen, ist es insbesondere für sie extrem wichtig, die abhängige Beschäftigung auszuschließen. Denn die Beiträge zu den Sozialversicherungen sowie Umlagen für Mutterschaftsgeld und Insolvenzgeld und die Beiträge für die gesetzliche Unfallversicherung können nachgefordert werden, wenn sich im Rahmen einer Betriebsprüfung herausstellt, dass ein abhängiges Arbeitsverhältnis vorliegt.

Wichtig bei den Nachforderungen: In einem solchen Fall ist der Arbeitgeber der Beitragsschuldner und muss sowohl den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmeranteil begleichen. Eine Verjährung der Nachzahlungspflicht tritt nach vier Jahren ein. Dies gilt allerdings nur, wenn die Beiträge nicht vorsätzlich zurückgehalten wurden, das heißt, der Auftraggeber wusste, dass es sich um eine Scheinselbstständigkeit handelt. In einem solchen Fall tritt erst nach 30 Jahren eine Verjährung ein.

Geht auch das Finanzamt von einer Scheinselbstständigkeit aus, so können auch Lohnsteuernachforderungen anfallen, die an das Finanzamt zurückgezahlt werden müssen, wobei diese in der Regel weniger hoch ausfallen, weil diese auch vom Arbeitgeber nachgefordert werden und nicht die Gesamtlast beim Arbeitgeber liegt.

Konsequenzen für die Arbeitnehmer

Bringt ein Feststellungsverfahren ein Angestelltenverhältnis zutage, so wird zunächst das Beschäftigungsverhältnis geändert, dies läuft auch rückwirkend. Sozialversicherungsbeiträge, die gezahlt werden müssen, können vom Angestellten maximal drei Monate rückwirkend verlangt werden. Alle anderen fehlenden Beiträge müssen vom Auftraggeber beglichen werden.

Nach der Änderung des Beschäftigungsverhältnisses, profitiert der Angestellte von allen regulären Sicherheiten und Vorteilen (Lohnfortzahlung, Urlaubsanspruch, Kündigungsschutz, etc.).

Wurde eine Scheinselbstständigkeit festgestellt, muss das Gewerbe abgemeldet werden und möglicherweise gezahlte Umsatzsteuer muss rückabgewickelt werden. Dafür ist eine Korrektur der ausgestellten Rechnungen erforderlich, bei denen die ausgewiesene Umsatzsteuer für ungültig erklärt wird. Mit der Abmeldung des Gewerbes endet auch eine mögliche Mitgliedschaft einer Berufskammer wie der Industrie- und Handelskammer.

Häufig gestellte Fragen – FAQ

Eine Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn jemand offiziell als Selbstständiger für einen Auftraggeber agiert, im Sinne der Sozialversicherung, der steuerrechtlichen Behörden oder der Finanzbehörden jedoch als angestellt verstanden wird. Wichtige Merkmale zur Feststellung einer Selbstständigkeit sind:

  • mehrere Auftraggeber
  • weniger als vier Fünftel des Einkommens werden von nur einem Auftraggeber gezahlt
  • keine, geringe Weisungsbindung
  • eigene sozialversicherungspflichtige Angestellte
  • eigene Betriebsstätte

Die Prüfung einer Scheinselbstständigkeit kann über mehrere Behörden laufen. Eine Scheinselbstständigkeit im Sinne der Sozialversicherung wird beispielsweise über die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund geprüft. Ebenfalls kann auch eine Prüfung über das Arbeitsgericht, das Finanzamt, die Krankenversicherung oder die Sozialversicherung stattfinden.

Wichtig: Wird eine Scheinselbstständigkeit im Sinne der Sozialversicherung festgestellt, heißt das nicht automatisch, dass auch eine Scheinselbstständigkeit im Sinne des Finanzamtes vorliegt.

Wird das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung nachgewiesen, hat das Nachzahlungen zur Folge. Nicht geleistete Sozialversicherungsbeiträge müssen rückwirkend bis zu vier Jahre gezahlt werden. Wurden vorsätzlich keine Beiträge geleistet, liegt die Verjährungsfrist sogar bei 30 Jahren. Dabei gilt: Auftraggeber und Auftragnehmer müssen Nachzahlungen leisten. Dabei entfällt allerdings der größte Teil der Nachzahlungen auf den Auftraggeber.

von Gerrit Wustmann

1 Kommentare

  1. rene kern
    22. Januar 2019, 09:59

    „Scheinselbständigkeit und ihre Konsequenzen“ lautet die Überschrift. Leider lese ich so gut wie nichts über die Konsequenzen. Weder Konsequenzen für den Auftraggeber noch die Firma.

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