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Grundeinkommen: Eine Gefahr für den Sozialstaat?
Die Debatte um ein Bedingungsloses Grundeinkommen drängt in den Mainstream. Akteure in Wirtschaft, Politik und Medien sprechen sich dafür aus. Doch viele von ihnen favorisieren Konzepte, die zur Gefahr für den Sozialstaat werden könnten. Ein Kommentar
von Gerrit Wustmann
Grundeinkommen: Eine Gefahr für den Sozialstaat?
© ginasanders / 123rf

Zunehmend scheint sich ein gesellschaftlicher Konsens herauszubilden: Ein Grundeinkommen ist notwendig. Die Frage ist aber: In welcher Form? Denn die Konzepte, wie ein Grundeinkommen ausgestaltet werden könnte, unterscheiden sich massiv.

Es gibt ohne Zweifel gute Argumente, die dafür sprechen. Die Zahl jener Menschen in Deutschland, die dauerhaft nur knapp über der Armutsgrenze leben, ist hoch. Arbeitnehmer mit keiner oder nur geringer Qualifizierung stehen unter enormem Druck, vielen Droht darüber hinaus Altersarmut. Die Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Agenda 2010 haben zwar die Beschäftigungszahlen positiv beeinflusst und zur Stabilität der deutschen Volkswirtschaft beigetragen. Zugleich haben sie aber auch einen ausufernden Dumpinglohnsektor geschaffen sowie eine große Unsicherheit. Atypische Beschäftigung und befristete Arbeitsverhältnisse haben massiv zugenommen. Bis vor wenigen Jahren hat sich die Wohlstandsschere im Land weit geöffnet. Die Sozialstaatsbürokratie verschlingt Milliardensummen.

Grundeinkommen könnte Arbeitnehmer und Rentner entlasten

Viele dieser Aspekte ließen sich mit einem Grundeinkommen abmildern – wenn es denn richtig umgesetzt wird. Ideen dazu gibt es. Zum Beispiel könnte ein Grundeinkommen in Höhe von 900 bis 1000 Euro die Transferleistungen für Erwerbslose komplett ersetzen und später auf die Rente angerechnet werden. Das würde den Druck auf Arbeitslose minimieren – und den Arbeitsmarkt beleben. Denn nicht nur mangelnde Qualifizierung, sondern auch Resignation ist ein immenses Problem gerade unter Langzeitarbeitslosen. Deren Zahl liegt seit über zehn Jahren ungebrochen bei rund einer Million. Aus der Psychologie wissen wir: Druck und Zwang sind kontraproduktiv. Aktivierend wirkt nur Motivation. Die gibt es allerdings im aktuellen System nicht oder nur eingeschränkt.

Ein Grundeinkommen käme außerdem der Einführung einer Mindestrente gleich. Aber solch ein Konzept muss finanziert werden, und da wird es schwierig, wenn nicht im Gegenzug Steuern und Sozialabgaben erhöht werden. Die Gesamtabgabenlast ist aber bereits jetzt sehr hoch. Alternativ gibt es daher die Idee einer Negativen Einkommensteuer – die nur jenen zugute kommt, die tatsächlich nichts oder zu wenig verdienen. Jeder, der weniger als den Grundfreibetrag verdient (ab 2018 sind das 9000 Euro im Jahr) könnte eine entsprechende Aufstockung direkt vom Finanzamt erhalten. Im Gegenzug ließe sich die komplette ALG-II-Bürokratie einsparen. Das würde annähernd ausreichen, um dieses abgemilderte Grundeinkommen für Bedürftige zu finanzieren.

Grundeinkommen als neoliberales Modell

Doch solche Konzepte sind es nicht, die den Vordenkern in Politik und Wirtschaftsverbänden vorschweben. Einer der Vordenker des Grundeinkommens ist Götz Werner, Gründer der Drogeriekette dm. Er möchte mit dem Grundeinkommen fast sämtliche sozialen Transferleistung abschaffen – besonders bedürftige Menschen sollen aber weiterhin Zugang zu Zusatzleistungen über das Grundeinkommen hinaus haben. Finanzieren möchte er den Fehlbetrag, den er auf 70 Milliarden Euro pro Jahr beziffert, über eine massiv erhöhte Mehrwertsteuer. Im Gegenzug sollen sämtliche anderen Steuern (also auch Einkommens-, Unternehmens- und Vermögenssteuern) wegfallen.

Hier gilt es, aufzuhorchen: Denn für Herrn Werner als erfolgreichen Unternehmer wäre das sehr praktisch. Er und sein Unternehmen würden so gut wie keine Steuern und Sozialabgaben mehr zahlen. Die Mehrwertsteuer ist für ihn nur ein durchlaufender Posten. Gerade Geringverdiener würde eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 50 oder mehr Prozent hingegen massiv treffen. Sie würde mehr als die Hälfte des Grundeinkommens sofort wieder auffressen.

Dabei ist das Konzept von Werner noch harmlos. Andere sehen sogar eine restlose Abschaffung des Sozialstaates vor – es gäbe dann auch keine gesetzliche Krankenversicherung mehr. Und nicht jeder setzt das Grundeinkommen bei 1000 Euro an. In Finnland wird derzeit ein Modell erprobt, bei dem es monatlich nur 600 Euro gibt. Viele der im Gespräch befindlichen Modelle würden die unteren Einkommensschichten signifikant schlechter stellen als heute – und könnten auch auf die Mittelschicht den Druck erhöhen. Die Idee, mit einem Grundeinkommen nahezu alle sozialstaatlichen Leistungen zu ersetzen und darüber hinaus die Finanzierung über Konsumsteuern zu gewährleisten ist unterm Strich keineswegs ein soziales, sondern ein neoliberales Modell. So kam unlängst auch eine Studie der OECD zu dem Ergebnis, dass ein Grundeinkommen, wenn es falsch umgesetzt wird, die Armut eher verstärkt als abschwächt.

Ist der Sozialstaat in Gefahr?

Und die Wahrscheinlichkeit, dass sich beim Thema Grundeinkommen die neoliberale Fraktion am Ende durchsetzen wird, ist hoch. Denn im Gegensatz zu Arbeitnehmer- und Sozialverbänden hat sie eine nicht zu unterschätzende Lobbymacht. Hinzu kommt, dass eines der Kernargumente der Befürworter auf wackeligen Füßen steht. Es bezieht sich auf eine Reihe von Prognosen, die davon ausgehen, dass binnen der nächsten zwanzig oder dreißig Jahre aufgrund von Digitalisierung und Automatisierung eine signifikante Zahl der heute noch existierenden Jobs wegfallen wird und es dann gar keine andere Möglichkeit als ein Grundeinkommen mehr gibt, um die Betroffenen aufzufangen.

Allerdings: Solche Horrorszenarien über eine Erosion des Arbeitsmarktes gab es schon zu Beginn der Industrialisierung, zu Beginn des Computerzeitalters und zu anderen Gelegenheiten. Gestimmt haben sie nie – im Gegenteil. Zwar sind immer wieder ganze Wirtschaftszweige und Tätigkeiten weggebrochen. Es sind zugleich aber auch neue entstanden. Und Fakt ist, dass die Produktivität und der Beschäftigungsstand in Deutschland nie so hoch waren wie heute.

Nur an der Verteilungsgerechtigkeit hapert es. Es ist allgemeiner Konsens, dass die Löhne in Deutschland zu niedrig sind. In keinem anderen Land stagnierte die Lohnentwicklung seit den Neunzigern so sehr wie hier, wie eine Studie der Hans Böckler Stiftung ergab.

von Gerrit Wustmann

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